Die Kraft der zwei Zündkerzen

Wenn die Goggo- und Glasfahrergemeinschaft Abgoggerln, werden die 50er-Jahre lebendig

Von Andrea Schwarzmeier
Längst stehen sie wieder fein säuberlich abgedeckt zum Überwintern in der Garage. Noch im späten Herbst rollten 25 Goggomobils, die wohl die kultigsten Fahrzeuge der Nachkriegszeit, über Landstraßen gen Chiemgau. Die Mitglieder der Goggo- und Glasfahrergemeinschaft waren auf Jubiläumstour: 20 Jahre Abgoggerln. Eine Nachbetrachtung.

„Alle Aufsitzen!“ Erst seitlich den Popo in den schnuckeligen Auto-Bonsai schieben, dann die Beine nachziehen. Die roten Sitzpolster sind so weich wie ein Marshmallow. Danach den Benzinhahn aufdrehen, links den Choke ziehen. Die hakelige H-Schaltung betätigen und den Fuß auf das Gaspedal. So kann die große Fahrt beginnen.

Die Rallye-Schilder, die Anton Ausmann gestaltet hat, sind an der Stoßstange angebracht. Die Autos sind betankt. Es geht los! Den Wohlklang des Zweitakters in den Ohren, das kräftige Geknatter, wenn der Motor aufheult, den Duft des Öl-Benzingemisches in der Nase, während draußen gemächlich die herbstliche Landschaft vorbeizieht: Seit nunmehr zwanzig Jahren machen sich Goggomobile-Fahrer im Oktober gemeinsam auf zur letzten Ausfahrt des Jahres, dem Abgoggerln. Es ist ein Rendezvous mit der Vergangenheit, mit jenem Lebensgefühl des Aufbruchs und des Wirtschaftswunders der 50er Jahre.

Drei Tage geht es für die 25 Goggomobile aus dem gesamten Landkreis mit insgesamt 48 Frauen, Männern und Kindern der Goggo- und Glasfahrergemeinschaft an den Chiemsee. Hermine Neff und Helmut Riemer hatten die Jubiläumsausfahrt zum zwanzigsten Mal organisiert, eine Zeitreise mit 13,6 PS, mit einem Auto aus den Fünfzigern, wenig Platz, aber viel Zeit, um die Langsamkeit zu genießen.

Abbiegen im „Rosenheimer System“

Von Frontenhausen aus sind sie einfach losgezogen, zur „königlichen Jubiläumstour“ an den Chiemsee, mit den Kultautos des Wirtschaftswunders, fröhlich zweitaktend und mit der Kraft der zwei Zündkerzen. Im Autofloh gibt es einen Wischer, den Blinker, die Hupe, ein Lenkrad, das federleicht reagiert. Unter der Haube finden sich vorne im Fußraum ein Reserverad und ein winziger Hauptbremszylinder. Rechts gibt der Fahrer Gas, bis fast zur Stoßstange. Als Beifahrer kann man den Fuß aufs Radhaus legen, den Arm um die Fahrerlehne schmiegen und mit einem Lied auf den Lippen: „Ich fahre mit meinem Goggo…“ diese Langsamkeit und ein Lebensgefühl der vergangenen Zeit genießen – dazu schnurrt der Goggomotor zufrieden.

So schieben sich die Oldtimer zwischen 50 und 60 Kilometer pro Stunde oder auch langsamer dahin Richtung Chiemsee. Kommt mal eine kleine Steigung, fährt das Goggo wie mit angezogener Handbremse, weil die Drehzahl absackt. Im Kriechgang geht es mit 30 Stundenkilometer die Anhöhen hoch. Nun heißt es, die Kolben bei Laune halten und, wenn möglich, vor der Steigung noch etwas Schwung holen.

Im Goggo-Tross sind auch Gäste aus der Schweiz mit dabei: Agnes und Ernst Gamp sowie ihr Dackel Pepina und Hund Timmy. „Unsere beiden Hunde lieben das Goggo. Sie sind immer die ersten beim Einsteigen“, sagen sie. Die Vierbeiner nehmen auf der Rücksitzbank Platz. Timmy hat es sich auf dem Koffer bequem gemacht.

Ganz voran, in einem grünen Goggo, das einst schon Marokko durchquerte, lenkt Helmut Riemer den Auto-Floh. Hermine Neff ist Beifahrerin und gibt schon vor der Abfahrt Anweisungen: „Wir fahren im Rosenheimer Abbiegesystem.“ Das Team Riemer/Neff bildet das Führungsfahrzeug. Schlusslicht ist das Auto mit Karl und Agnes Gruber. An Abzweigungen oder Kreuzungen hält das erste Auto nach dem Führungsfahrzeug an einer übersichtlichen oder nicht gefährdeten Stelle im Kreuzungsbereich an, lässt alle anderen Goggomobile passieren und schert sich vor dem letzten Fahrzeug wieder ein. Dies ist eine Technik, die die Mitglieder der Goggo- und Glasfahrergemeinschaft aus dem FF beherrschen. Sollte doch mal jemand „verloren“ gehen, ist im Roadbook, dass Fritz Baron für die Abgogglern-Tour gestaltet hat, die Route aufgezeichnet, schließlich geht es mit Kind und Hund ans Bayerische Meer.

 

So funktioniert das Rosenheimer-Abbiege-System:
Das Führungsfahrzeug stellt das hinter ihm fahrende Fahrzeug an einem kritischen Punkt (Abzweigung, Kreuzung usw.) ab. Der Fahrer oder Beifahrer dieses Fahrzeugs winkt dann alle nachkommenden Fahrzeuge in die richtige Richtung. Er ordnet sich dann wieder vor dem Kolonnen- Schlussfahrzeug wieder ein.

Überall freundliche und winkende Menschen

Es ist das alte Blech, ein weites Ziel und die große Leidenschaft für die nostalgischen vier Räder, die jährlich zur letzten Ausfahrt des Jahres viele Goggomobil-Freunde zusammenführt. Überall wo die Landauer und Dingolfinger Goggomobil-Besitzer hinfahren, begegnen ihnen freundliche Gesichter, lachende und winkende Menschen – auch in Unterreit. Dort gibt es eine Kaffeepause für die Fahrer und neue Zündkerzen für ein Auto – die einzige Schraubarbeit dieser Reise. Die 25 Kleinwagen-Oldtimer aus Dingolfinger Produktion meistern die Strecke nach Prien am Chiemsee und zurück auch nach all den Jahren, die sie auf dem Buckel haben, immer noch sehr zuverlässig.


Das Kult Auto aus Dingolfing
In der Nachkriegszeit aus blanker Not heraus wurde von der Firma Hans Glas in Dingolfing das Goggomobil entwickelt. Der legendäre Kleinwagen lief 1955 erstmals in Serienproduktion vom Band. Die damalige Goggo- und Glaswagenschmiede ist heute das Herzstück des größten BMW-Werkes in Deutschland, nachdem der Münchner Autobauer die Firma Hans Glas mit den damaligen 2500 Mitarbeitern Ende der 60er-Jahre übernahm. Heute ist das Goggomobil Kult. Benannt ist das Autos nach dem jüngsten Enkel des Firmengründers Hans Glas. Ein Hausmädchen hatte dessen Enkel Andreas den Spitznamen „Goggi“ gegeben. In der Urversion gab es die Limousine mit 13,6 Pferdestärken, dann die spätere Coupe-Version. Exakt 280 728 Goggos liefen vom Band. (as)

Hermine Neff und Helmut Riemer organisieren bereits seit 20 Jahren das Abgoggerln.

 

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